Dienstag, 8. Januar 2013

Gefahr des Dilettantismus

"Je freier eine Improvisation, desto größer die Gefahr eines peinlichen Dilettantismus. Erfahrene Improvisatoren bauen dementsprechend vor. Zunächst beherrschen sie ihr Instrument (oder die Stimme) auf einem dem klassischen Musiker vergleichbaren Niveau, bzw. übertreffen dieses sogar mitunter in der Virtuosität [...]"
Mahnkopf, Claus-Steffen (2011). "Komposition und Improvisation". In: Aspekte der freien Improvisation in der Musik. Wolke Verlag. S. 90

Die Gefahr und gleichzeitig der Reiz einer freien Improvisation ist, sich in der Freiheit zu verlieren und gar keine erlangen zu können. Unser Gehirn hat den Willen zu Routine und Struktur. So auch das des Zuhörers. Der Mensch will Muster erkennen. Ob man sich welchen hingibt oder nicht, liegt in der Hand des Improvisators. Es bleibt also die alte Frage, wie frei der Mensch wirklich ist. Wenn man Bücher, wie das oben zitierte, über freie Improvisation liest, bekommt man schnell den Eindruck, dass formale Improvisation in Strukturen der Feind ist. Die Realität sieht gewiss anders aus. Die Szene der improvisierenden Zunft in der Musik versucht sich als Gemeinschaft zu sehen, weil sie de facto nicht sehr groß ist.

Analogien zum Improvisationstheater gibt es auch hier. Ich habe festgestellt, dass Improtheatergruppen dazu neigen, nach einer Weile des Grundlagen lernens und der Theatersportspiele nach Keith Johnstone, längere und freiere Formen des improvisierten Theaters spielen wollen. Hier besteht die gleiche Gefahr, wie in der Musik. Ab wann ist ein Spieler denn erfahren genug, sich in eine freie Improvisation zu wagen mit weniger Struktur und Gerüst? Sicher kann man sagen, dass jeder immer alles machen darf und probieren soll, etwas wagen und riskieren, wie es in der Improvisation gewünscht ist. Das Zitat enthält aber noch einen zweiten Teil, den ich auch wichtig finde. Nämlich, dass man sein Instrument beherrscht und für die Freiheit sozusagen vorsorgt. Von einem Impromusiker wird erwartet, dass er auf Zuruf sofort und ohne Spielfehler (!) einen Improsong spielt bzw. dem Spieler ein Harmoniegerüst liefert, auf dem der dann improvisieren kann. (Mehr ist es letztlich ja nicht beim Improtheater - Stegreif Liedbegleitung). Das dann möglichst in sämtlichen Stilen, auch wenn vom Publikum meist nur die üblichen 4 Verdächtigen gerufen werden. Die Größe zu haben, dass auch ein Song mal daneben gehen kann und dass man noch einmal von vorn beginnt, liegt daran, dass man in der Liedbegleitung eine Komposition imitieren will. Die gemeinsame Improvisation soll klingen, wie eine Komposition. Ohne Fehler. Am ehesten noch ohne Fehltritte des Musikers, denn der liefert ja das sichere Netz für den Spieler, der meist versucht durch seinen einfallsreichen Text zu glänzen. Für wirkliche Musik und Improvsation von seiten des Musikers ist meistens kein Raum. Aber daran gewöhnt man sich, wenn man sich auf ein Ziel geeinigt hat. Das ist dann doch die Unterhaltung des Publikums und nicht die Selbstverwirklichung der Künstler. Und das ist im Improtheater auch in Ordnung, hat sie es doch eigentlich nicht geschafft, als wirkliche intellektuelle Kunstform daher zu kommen, sondern durch den verbreiteten Stil nur für direkte, interaktive Unterhaltung zu sorgen. Theoretiker werden mucken und sagen, dass der Ursprung ja auch in der Comedia dell'arte liegt. Sicher tut er das auch, aber das muss ja nicht heißen, dass man etwas nicht in eine andere Richtung weiterentwickeln kann. Wenn der Jazz im Swing stehen geblieben wäre, wäre er heute auch nur gefällige Tanzmusik. Gott sei Dank kam danach der Bebop.

Worauf will ich hinaus? Es bedarf einer Vorbereitung, einer Schärfung seiner Fähigkeiten für die Improvisation. Die meisten Spieler im Improtheater beherrschen nicht einmal die Theatersportspiele richtig und wollen aber in die anspruchsvolle freie Improvisation. Wenn ich das Zitat auf das Theater beziehe, müsste es lauten: "zunächst beherrschen sie das Schauspiel". Improvisierende Musiker haben in den meisten Fällen eine langjährige, professionelle Ausbildung in den Bereichen "Praktisches Spiel", "Theorie", "Harmonielehre", "Rhythmuslehre", "Ausdruck", etc. hinter sich. Auch wenn das viele nicht so wahrnehmen als Schüler. Ein Profi hat ca. 10.000 Stunden übend am Instrument verbracht. Um auf das Zitat zurück zu kommen: Sind denn Improtheaterspieler auf dem Niveau eines klassischen Schauspielers, wenn sie sich in die freien Szenen wagen? Zu wenige sind es. Und warum "dürfen" sie es dennoch: Weil der Anspruch dann doch in den Bereich der Unterhaltung, des Hobbies, des Spaß gezogen wird. Frei nach dem Motto: "Wenn's schief geht, war's nur Spaß". Die Gefahr des Dilettantismus ist größer, als die meisten bemerken. Und diese Gefahr zieht sich durch alle Klassen. Wie ein Kollege richtig behauptete: "Ein klassischer Schauspieler kann auf Grund seiner Ausbildung auf Fertigkeiten zurückgreifen, die ein Laie nur durch Talent oder durch viel Arbeit  ausgleichen kann." Und da müsste sich jeder mal fragen, wieviel Futter er eigentlich mitbringt oder an sich arbeitet. Ansonsten bleibt die Gefahr herum zu dilettieren immens groß, wie bei den meisten. Um einen "Klassiker" übertreffen zu können, bedarf es eben ein Weitergehen, nachdem ich das Niveau erreicht habe. Aber da muss man erstmal hinkommen.


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