Donnerstag, 22. September 2011

Wohin gehen all' die guten Musiker?

Letzte Woche meinte ein Improspieler nach einem Auftritt zu mir: "Die ganzen guten Musiker verschwinden in letzter Zeit aus der Improszene." Ich dachte mir: "Schön, dass es mal jemanden auffällt." Und vor allem wäre es dann an der Zeit einmal darüber nachzudenken, woran das liegen könnte!

Es gibt verschiedene Gründe und einen Teufelskreis. Das Dilemma beginnt damit, dass die Bezahlung von Musikern in der Improszene, zumindest in Berlin, äußerst miserabel ist. Gagen von 30 Euro am Abend (Gesamtarbeitszeit ca. 4 Stunden und mehr) sind keine Ausnahme, sondern eher üblich. Nun könnte man meinen, die Damen und Herren der meisten Gruppen machen Improtheater ja auch als Hobby und verdienen sich damit ja auch nicht gerade eine goldene Nase. Im Gegensatz zu den meisten Improspielern leben jedoch die Musiker meist von ihrer Kunst oder versuchen es zumindest. Schnell kommt das Argument ins Spiel: "Du spielst für 30 Euro. Du hättest ja auch Nein sagen können." Richtig! Kann man auch. Aber in der Realität sieht es für die meisten Musiker dann doch so aus, dass sie auch 30 Euro gut gebrauchen können, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Für Künstler, die nicht von ihrer Kunst leben (wollen) sind 30 Euro mit Improtheater zu verdienen, ein guter Kurs. 30 Euro Abendgage haben sich in der Berliner Improszene als Musikergage durchgesetzt. Ich spiele seit gut vier Jahren Improtheater und höre diese Zahl nachwievor, auch von selbst ernannten Profigruppen. Ich habe relativ schnell, ungefähr nachdem ich mit dem Großteil der Berliner Gruppen gespielt habe, meine Gagenforderung angehoben. Zwar spiele ich nun weniger Improtheater, jedoch gehe ich zufriedener nach Hause. Damit habe ich aber auch eines klar gemacht: Ich bin mir etwas wert und das, was ich leiste ist auch etwas wert! Nämlich mehr als 30 Euro am Abend.

Es schleicht sich nämlich folgender Teufelskreis ein, bliebe man weiterhin bei so geringer Gage:

a) Eine Improgruppe kauft billig einen Musiker ein.

b) Für seine künstlerische Leistung erhält der Musiker eine zu geringe Gage

c) Da die geringe Gage nicht so sehr bei der Endabrechnung des Abends ins Gewicht fällt, wirkt die musikalische Leistung als nettes Extra, um Publikum zu ziehen, das aber auch weg rationalisiert werden könnte. Es geht ja um Improvisationstheaterspiel und die Schauspieler, nicht um den Musiker. ;)

d) Der Musiker erfährt wenig Beachtung.

e) Der Musiker beginnt frustriert und belanglos zu klimpern (!), um um Aufmerksamkeit zu ringen.

f) Das belanglose Geklimper des Musikers wird von den Spielern genau so wahrgenommen, oder eben überhaupt nicht.

g) "Warum sollten wir als Improgruppe mehr Gage für das Geklimpere des Musikers ausgeben?"

Ergo: Die Gage und die Qualität kann nicht verbessert werden, da es ein Teufelskreis der Demotivation und Nicht-Achtung ist.

Zu c) In der Realität sieht es so aus, dass die meisten Improgruppen einen Musiker haben müssen, weil fast alle einen haben. Es wäre ein Manko keinen zu haben.

Zu d) Wenig Gruppen haben ein Gespür dafür, was der Musiker schon bereits in Szenen leistet und wie er maßgeblich die Qualität beeinflussen kann. Er ist nicht nur für ein, zwei Songs gut.

Zu e) Das "Klimpern" ist leider weit verbreitet. Gemeint ist vor allem das Mickey-Mousing, Illustrieren von Aktionen, Kommentieren von Gesagtem, Zukleistern mit Klangteppichen, gern im "Stummfilm-Stil". Auch wenn es nicht sofort wahrgenommen wird, ist es eine Form von "Hallo, ich bin auch noch da und ich renne euch ständig hinterher." Der Musiker wird also zum Kommentator degradiert und ist kein aktiver, gleichberechtiger Mitspieler.

Zu f) Eine passende Bestätigung ist das häufig gehörte Feedback nach Auftritten: "Schöne Musik!" Wieder ein Beispiel, dass nur konkretes Feedback gutes Feedback ist. Alles andere kann man sich gleich sparen.

Zu g) Ja, warum eigentlich? Würde ich auch nicht machen für ein bisschen Geklimper Geld auszugeben.

Alles in allem ein großes Dilemma, an dem nur die Gruppen und die Musiker gemeinsam etwas ändern können. Ich habe schon öfter darüber geschrieben, dass Gruppen ihren Musiker nicht oder nur zu wenig einbeziehen. Das ist jedoch für das Spiel und die Qualität wichtig. Denn nur jemand, der sich einem Team mit dem nötigen Teil an Verantwortung gegenüber der Mannschaftsleistung zugehörig fühlt, wird eine gute künstlerische Gemeinschaftsleistung abliefern und frei für wahrhaftige Improvisation sein können. Schenkt den Musikern mehr Beachtung und vor allem eine angemessene Gage. Von 30 Euro am Abend kann wirklich niemand zufrieden und gut leben! Redet mit dem Musiker darüber. Es wird sich eine Gage finden lassen, die trotzdem einen Auftritt mit Musiker ermöglicht. Falls nicht: Vielleicht ist ein Auftritt ohne Musiker besser, als einer mit einem demotivierten klimpernden Musiker.

Als Musiker kann ich nur dazu raten, die Gagen anzuheben. Spielt man zu lange für solch geringe Gagen, spricht es sich schneller rum, als Eure Qualitäten am Instrument. Vertraut auf das, was Ihr könnt! Es ist in jedem Fall mehr wert als eine Dumpinggage. Ihr werdet merken, dass Ihr zufriedener werdet, lieber weniger besser bezahlte Auftritte zu spielen, als schlecht bezahlte, wo man sich ärgernd am Instrument sitzt. Nur so könnt Ihr langfristig für bessere Gagen spielen. Eure Zufriedenheit wird sich auf Eure Ausstrahlung und Euer Spiel auswirken. Sprecht mit Musikerkollegen über das Thema "Gage und Zufriedenheit". Das muss nicht zu Preisabsprachen führen, aber unterstützt einen gemeinsames Ethos, dass der Leistungen der Musiker mehr entspricht. Wir wollen alle gern von unserer Kunst leben! Das geht nur mit qualitativen Gagen. Sprecht innerhalb der Improgruppen darüber, welche Rolle die Musik spielen soll. Trainiert mit den Gruppen und gebt eventuell Workshops. Auch diese müssen nicht Gagen frei gegeben werden. Die Improgruppen profitieren sehr von den Fertigkeiten, die wir Musiker aus unserer Praxis mitbringen. Teilt Euer Wissen!

... und hört endlich auf zu klimpern! 




2 Kommentare:

  1. Hi Stephan!
    (Schöner Hintrergrund, aber Text hier kaum lesbar.)
    Ich sehe einige Punkte ein wenig anders.
    1. Klimpermusiker hören nicht auf, Klimpermusiker zu sein, wenn man die Gage anhebt. Entweder der Musiker hat Stil oder eben nicht.
    2. Nach meiner Wahrnehmung sind viele Musiker nicht oder nur selten bereit, sich auf Proben oder gar Coachings einzulassen, geschweige denn, mal auszuprobieren, wie sich Improtheater von der Spielerseite aus anfühlt.
    3. Versuch mal, die Improtheater-Situation von der anderen Seite zu sehen: Ein Impro-Schauspieler ist nicht nur Schauspieler, sondern gleichzeitig auch Regisseur, Autor, Dramaturg usw. Man improvisiert auf mehreren Leveln gleichzeitig. Es ist nun mal so: Auch als Improspieler mit musikalischem Feingespür nimmt man die Musik in Szenen oft nur dann wahr, wenn über längere Passagen nichts gesprochen wird oder wenn man gerade off ist. (Oder im schlimmsten Falle, wenn sie drüberschmiert oder -klimpert.) Und das ist der Grund, warum das Feedback an den Musiker nach einer Show oft so unspezifisch. (Die Handlung des Mit-Schauspielers ist viel klarer zu erkennen: Er führt mein Angebot fort oder blockiert es.)
    4. Die "Profi"-Debatte hakt immer wieder daran, dass unklar ist, wovon die Rede ist: Von Qualität? Oder vom Anspruch, von der Kunst leben zu wollen. Klar, es gibt Gruppen, deren Mitglieder in ihrem Bürojob viel mehr verdienen als mit den paar Kröten aus den Einnahmen. Aber es gibt auch gemischte Gruppen. Oder Gruppen, die ihre Einnahmen hauptsächlich aus Firmen-Auftritten oder Workshops ziehen. Ich verstehe aber nicht, warum ein Musiker eine höhere Gage als ein Schauspieler bekommen sollte, wenn der Schauspieler vielleicht genauso auf die von dir genannten 30 Euro angewiesen ist.

    Aber noch mal zum Hauptpunkt: Der von dir beschriebene Teufelskreis ist für mich absolut nicht einsehbar. Man ist als Künstler bei der Sache oder nicht. Ich kann mir überlegen, ob mir der Auftritt es wert ist, für wenig Geld aufzutreten. Aber dann zu "klimpern" ist Verrat an der Kunst. Oder meinst du Charlie Parker hat nur gedudelt, wenn er wenig Kohle bekam?

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  2. Hey Dan,
    (Danke für den Hinweis, werde das mit der Lesbarkeit nochmal ändern.)
    1. Richtig, sicherlich ist Geld nicht unbedingt ein Anreiz dafür, die Qualität zu verbessern bzw. an sich zu arbeiten. Leider.
    2. Habe ich auch festgestellt. Vielleicht sollte da von Spielerseite noch mehr die Angst genommen oder andere Angebote gemacht werden?!
    3. Frei nach K. Johnstone: "Die Spieler sind in einer Trance..." Das verstehe ich völlig, zumal ich die Seite des Spielers eben auch kenne. Die Frage müsste also lauten, wie kann man seine Wahrnehmen gezielt in dieser Richtung verbessern. Meines Erachtens nach eine Frage der Weiterbildung auch in diesem Bereich.
    4. Die Forderung versteht sich zynisch gesehen vielleicht darin eine höhere Gage zu zahlen, damit es in der Kasse mehr "weh tut". Dadurch wird eben die Aufmerksamkeit erhöht. Ich erlebe leider viel zu Häufig dieses "nette Extra"-Phänomen, was die Musik betrifft. Wie der Barpianist, der eben ein Live-Plattenspieler ist. Oder eben billig im Discounter kaufen, dann kann man schon mal ein Auge zudrücken, wenn was nicht so ist, wie es sein kann. Es war ja billig. Verstehe aber völlig Deine Argumentation. Die Frage der Qualität oder gar eines Qualitätssiegels finde ich sehr schwierig in der Improvisation und diese Debatte geht einher mit Profi oder nicht Profi sein. Wie Finanzierungsmodelle aussehen können, zeigen ja die Berliner Gruppen gut. Und damit zum letzten Absatz: Ich muss dann eben nicht für 30 Euro spielen. Nur wenn die Improszene von Qualität spricht, und das sage ich eben hier nur von der Musikerseite, kann sie nicht erwarten, dass eben die meisten Musiker dort bleiben und wie sicherlich auch Charly Parker für so wenig Gage spielen, sondern sich davon auch wieder wegbewegen. Wir wissen ja alle, dass es sich schlecht von Luft und Liebe leben lässt. Ich gebe dir Recht, dass es Verrat an der Kunst ist, wenn man sich eben dann keine Mühe mehr gibt. Dann sollte man es lieber gleich lassen. Dennoch setz ich mich weiterhin dafür ein, dass Musiker innerhalb des Improtheaters über den Ruf eines Geräuschemachers hinaus ihren Platz finden. Es gibt halt nicht viele Musiker, die sich mit diesem Problem auseinander setzen, sondern dann einfach aufhören für 30 Euro zu spielen.

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