Freitag, 13. November 2009

Aggressivität & Formenbruch in der improvisierten Musik

Während meiner Beschäftigung mit der Improvisationsgruppe Instant Composer Pool im Zuge meines Studienabschlusses und ihres Live-Mittschnitts Group Composing II von 1970 fielen mir zwei entscheidende Dinge auf:

1) Aggressivität im Spiel 

Improvisierte Musik wirkt an manchen Stellen sehr aggressiv. Laute und intensive Spielweisen schaffen ein aggressives Bild und eine gereizte Stimmung. Ob durch Atonalität oder scharfe Dissonanz, die empfundene negative Aggressivität taucht immer wieder in Stücken auf. Im Falle des "ICPs" sogar sehr häufig in ca. 23 min Gruppenimprovisation. Wie auch im Improtheater-Post über das Thema, ist hier meine Vermutung, dass ebenfalls durch diese Vorgehensweise eine Art Kontrolle ausgeübt wird. Die Zuschauer beeinflussen das Ensemble und jeden einzelnen durch indirekte Rückkoppelung, quasi durch pure Anwesenheit mit allem was im Konzert dazu gehört. Dennoch kann man sicher nur nach Rücksprache mit den Musikern zu einer wahrhaftigen Aussage über die Aggressivität im Spiel kommen. 
In meinen Konzert wechseln sich verschiedene Stimmungen ab. Ein Teil davon ist ebenfalls durch Aggression bestimmt. Ich habe lange darüber nachgedacht, woher diese kommt. Es ist zwei geteilt. Zum einen hängt der musikalische Ausdruck auch immer an der Tagesform und der momentanen mentalen Verfassung zum Zeitpunkt des Konzerts. Zum anderen würde ich mit meinem eigenen Solokonzert die These stützen, dass Aggressivität auch zu einem Teil den Versuch darstellt, Kontrolle zu gewinnen über etwas, über das es nie die gänzliche Kontrolle gibt: Das Publikum.

2) Formenbruch

In der Gruppenimprovisation des Instant Composer Pools stellte sich der Aufbau und Zusammenbruch von musikalischen Feldern und Teilen als stilistisches und formales Mittel der Improvisation heraus. Etwas aufzubauen, meist dabei komplexer und lauter zu werden, ist ein zentrales Vorgehen der Musiker im Kollektiv, dass unweigerlich das gesamte Stück in eine Form bringt. Ist jedoch erst einmal eine nachvollziehbare Form entstanden, wird sie gesteigert und überhöht bis zu einem Klimax, der nicht mehr vergrößert werden kann. Danach bricht der Teil ab und ein neuer beginnt.
In meinen Konzerten versuche ich die musikalischen Teile mit einander zu verbinden, oft durch Modulationen oder kleinen Teilen, die nicht als großer neuer musikalischer Teil gewertet werden können, also Intermezzi. Es ist eine andere Herangehensweise mit musikalischer Form, was daran liegt, dass ich bemüht bin, dem Publikum einen roten Faden zu bieten. Das geschieht meist in Form eines oder zweier Themen, die im Laufe des Konzerts immer wieder in Ur-Form oder verändert auftauchen. Der Belohnungseffekt ist befriedigend für das Gehirn. Nicht nur für meines. Aber da liegt auch die Crux: Wenn ich diese formalen Schranken durchbrechen will, müsste ich mich nicht von dieser indirekten Rückkoppelung des Publikums beeinflussen lassen. Es sind schlicht gesagt, Erwartungen, die ich meine zu kennen und erfüllen will. Einerseits ist das das Reizvolle für das Publikum, aber auch das Behindernde für mich in meiner Ausführung. Ein Mittelweg ist gut, aber vielleicht werde ich den doch noch verlassen. Wer weiß?!
Das Brechen der Form ist wohl das Charakteristischste an einer Improvisation und einem Konzert, was ca. eine Stunde vollständig im Moment entsteht. Nach dem letzten Konzert habe ich das Feedback bekommen, dass ein Hörer immer auf Pausen gewartet hat zum Klatschen, wie in Konzerten mit mehreren Stücken üblich. Wenn man klassische Klavierkonzerte kennt, weiß man, dass man erst am Schluss klatscht. Aber ich verstand die Bemerkung und sie war positiv gemeint, da er hinzufügte, dass es ungewöhnlich für ihn und neu für ihn gewesen sei. Die erhofften Pausen sind dann die Intermezzi, in denen musikalisch und kognitiv innegehalten werden kann. Klatschen wäre da sicher nicht angebracht. Aber es gehört auch zum Konzeot des Konzerts ungewöhnlich zu sein. Nicht nur durch die Tatsache, dass das Konzert vollständig improvisiert ist.

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